Gottfried Stutz! Ich, Wutbürgerin

Gottfried Stutz! Ich, Wutbürgerin

Das wird wohl nichts mit dem Rahmenabkommen. Schon wieder nicht. Und das, weil sich Gewerkschaften, Parteien und Bundesräte lieber öffentlich inszenieren, statt gemeinsam die beste Lösung für die Schweiz zu erarbeiten.

Ich bin stinksauer. Ich bin enttäuscht. Ich bin Wutbürgerin. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass ich mich zu dieser Sorte Menschen zählen muss. Dieser Sorte Menschen, die von der Politik nicht gehört, die nicht verstanden werden, die – wie oft schlau analysiert und kommentiert wird – nur einfache Medien konsumieren oder sich von Social-Media-Kampagnen beeinflussen lassen. Menschen, die resignieren. Ich will nicht resignieren. Doch die Kommunikation der Gewerkschaften, die Parteien, die darauf als Antwort zum Rückzug «blasen», oder der fehlende Dialog – diese nicht vorhandene Haltung wichtiger Stakeholder unserer Gesellschaft zwingt mich allmählich zur Kapitulation.

Ich spreche vom Rahmenabkommen. Ich spreche von einem Weg für uns, ein Land in Europa, gemeinsam mit der EU. Ich bin mir bewusst, dass es hier sehr viele Wege gibt. Dass der Lösungsprozess dauern wird. Dass wir als «kleine Schweiz» nicht klein beigeben dürfen. Glauben Sie mir, als ehemalige Bankerin hätte ich mir etwas mehr Ausdauer in den Verhandlungen rund um das Bankgeheimnis gewünscht – für einen starken Schweizer Finanzplatz. Warum nutzen wir die Kleinheit unseres Landes jedoch einmal mehr nicht zu unserem Vorteil und spielen die direkten Kommunikationswege, die Vernetzungen, die Verflechtungen nicht aus? Stattdessen verstricken wir uns in Eitelkeiten. Zu viel Erfolg lässt uns die Sicht auf das grosse Ganze verlieren.

Mit den europäischen Nachbarn tauschen wir täglich Waren und Dienstleistungen im Wert von knapp einer Milliarde Franken aus. Das ist kein Klacks. Die flankierenden Massnahmen wurden vor 14 Jahren definiert. Noch bevor die Digitalisierung um sich griff und heute grundlegend neue Massstäbe in der raschen Kommunikation setzt. Flankierende Massnahmen sind eine Leistung unserer Demokratie; wir sollten daran festhalten, sie aber bewusst für die Zukunft rüsten. Wir brauchen deshalb mehr denn je Leadership – Persönlichkeiten, die offen für Gespräche bleiben, Herausforderungen anpacken und für die Verhandlungsstillstand keine Option ist.

Seit 2013 setze ich mich als Geschäftsführerin des StrategieDialog21 für eine innovative Schweiz ein. Als Unicef-Delegierte liegt mir viel daran, ein Stückchen unseres Glücks an die Gesellschaft zurückzugeben. Denn ich bin verdammt dankbar, die Schweiz meine Heimat nennen zu dürfen. Seit den vergangenen Tagen frage ich mich jedoch ernsthaft: Gottfried Stutz – Selbstinteressen, what else? Parteipräsidenten und -präsidentinnen denken nur noch an den Wahlkampf 2019. Offenbar haben sie keine Lust, pragmatische Vorschläge für eine Lösung der EU-Frage zu erarbeiten. Lieber verlieren sie sich in diesem politischen Kalkül, das einfach nur noch langweilt.

Von meiner alleinerziehenden Mutter wurde ich ganz schweizerisch eigenverantwortlich erzogen. Heute als Unternehmerin hilft mir dies sehr und lässt mich auch in herausfordernden Situationen stets Lösungen finden. Dieser Kernwert der Schweiz, sogar in der Bundesverfassung verankert, lässt mich Erfolge feiern und stets mutig bleiben. Heute selbst Mutter, möchte ich auch für meine Tochter Vorbild bleiben und die Verantwortung mittragen, dass die Schweiz auch kommenden Generationen Wurzeln gibt, um in die Höhe zu wachsen.

So appelliere ich an Sie, sehr verehrte Damen und Herren in Bundesbern, an die Vorbilder in unserem Staat: Bitte nehmen auch Sie Ihre Verantwortung wahr, statt in Verhandlungen stillzuhalten. Leben Sie den Dialog, statt trotzig zu schweigen. Und setzen Sie sich an den «Stammtisch», hören Sie zu, finden Sie gemeinsam mutige Lösungen. Seien Sie authentisch und selbstbewusst Vorbild, stellen Sie Eigeninteressen zurück, und nehmen Sie das Telefon bei Unklarheiten in die Hand. Die Medien für einen Schlagabtausch zu nutzen, kann nicht Ziel der Übung sein. Damit verwirren Sie Ihre Bürgerinnen und Bürger und verlieren letztlich wertvolles Vertrauen. Nutzen Sie Ihre Wut für Konkretes, und vermeiden Sie Wutbürgertum.

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